Aus dem Seniorenheim 7.

drei Wägen von Nikkolo Feuermacher

Bild: Nikkolo feuermacher

Ich weiss nicht warum ich das hier mache. Herr Feuermacher hat gesagt „des is leiwand“, so lange ich aufschreibe dass ich es nicht weiss. Hier ist mein siebtes Posting in dieser, meiner Kolumne. (Kolumne heisst „schmale Säule, kurzer, untereinandergeschriebener Text“ meint Herr Feuermacher. Ich glaub er kennt sich aus.) Seit dem ersten Posting wurde mir die Miete erhöht und ich kann nichts dagegen tun, zwei Menschen sind gestorben und ich konnte nichts dafür. Und ich wurde echt bedroht.
Ich mache das einzige Fenster auf in meinem winzigen, völlig überteuerten Zimmer, weil ich Angst habe zu ersticken. Das passiert mir manchmal. Die Heizung läuft auf 5, mehr kann man nicht aufdrehen. Bei weniger ist es kalt hier drin. Am Fensterrahmen angelehnt schau ich nach unten: grau – kleine, parkende Autos – kleine, hin und her fahrende Autos. Manchmal bleiben sie stehn, dann sausen sie weiter. Wie wenn ihnen jemand dauernd den Strom ab- und andreht. Wenn ich mich weiter vor lehnen würde kippe ich vielleicht raus und dann runter. Nichts würde mich aufhalten. Das wär urlangweilig. Vielleicht geh ich raus und hol mir was zu Essen? Ich mach die Tür auf, aber das geht nur einen Spalt breit. Dann schlägt sie gegen einen Rollator. Der mit dem Rollator hockt auf seinem Rollator vor meiner Tür. Wartet der auf wen? Ich zieh die Tür sofort wieder zu. Meine Klingel ist kaputt. Jetzt klopft er. Ich steck mir was in die Ohren und versuche Musik zu hören. Der Akku von meinem Wischtelefon ist leer. Ich kann das Netzteil nicht finden. Irgendwann hört er auf zu klopfen. Gefühlte drei Stunden später hab ich immer noch Hunger und muss mir was holen. Er sitzt unverändert da. Ist er tot? Ich bin unsicher und tipp ihn an.
Ich wusste, dass Du rauskommst“ sagt der mit dem Rollator. „Komm mit ins Seniorenheim! Wir müssen unser Gedächtnis trainieren!
Ich: „Wollt eh kommen. Deine zwei Zettel mit Fixurlifeup von Prince and 3rdeyegirl“ hab ich nicht gefunden, die sind jedes mal irgendwie aus meinem Briefkasten verloren gegangen. Sonst hätt ich das Lied gesucht und euch gebracht.
Der mit dem Rollator schaut mich an als würd er kein Deutsch verstehen. Ich trag ihm den Rollator runter. Er fährt Lift. Der Lift ist so eng, dass er sich an drei Seiten gleichzeitig abstützen kann. Unten wartet er auf mich. Er legt mir keine sichtbaren Handschellen an, aber ich weiss, dass ich jetzt nicht mehr verschwinden kann.
Das Seniorenheim riecht wie immer: nach einem Kaugummi der ganz laut schreit, weil er von Erbrochenem und Reinigungsmittel ablenken will. (Herr Feuermacher hat gesagt ich sollErbrochenem und Reinigungsmittelschreiben,die wissen dann schon was gemeint ist.)
Der mit dem Rollator schreit:Er is da!
– und schiebt mich in den Speisesaal. Der Rollator voll in meinen Kniekehlen. Ungefähr zwanzig Alte sitzen an Tischen. Rechts hinten vier Frauen mit dicken Zöpfen: zwei im Rollstuhl, zwei auf Stühlen. Alle schaun sie mich an, als wär ich eine Kühlschranktür und ihre Blicke Magneten.
(Fiktionnennt Herr Feuermacher was mir passiert. Für ihn ist es das auch, weil er ja nie dabei ist.) Ich erkenne niemanden. Dann kommen zwei auf mich zu: Maresi und die im Rollstuhl. Ein nach vorn gebeugter Typ mit Krücke wackelt hinter ihnen.
Maresi stellt ihn vor:Parkinson.
Ich: „Miklós“
Maresi zu Parkinson: „Das ist der junge Mann, der das Gedächtnistraining mit uns macht. Nicht die Frau mit der Brille.“
Parkinson: „Angenehm. Habe die Ehre.“
Die im Rollstuhl: „Endlich bist Du da. Wir wissen nicht mehr was wir tun sollen. Wir haben nichts mehr zu lesen. Die Stadt hat uns die Südwind-Abos gestrichen.
Ich: „Abos?
Die im Rollstuhl: „Eine Zeitschrift wos um Entwicklungspolitik und Gerechtigkeit geht. Die schicken sie uns nicht mehr.
Parkinson: „Die Zeitungsleute haben sich im letzten Heft mit den Lobau-Besetzern solidarisiert. Und jetzt haben wir die Abos gestrichen.
Die im Rollstuhl: „Die ham sich nicht mit den Möchte-Gern-Autobahn-Verhinderern solidarisiert. Sie ham nur drüber geschrieben, das s die gibt.
Parkinson: „DAS SELBE.“
Maresi: „Nemuszáj mach was. So geht das seit Tagen ununterbrochen!
Ich spiele sofort das Lied ab:
Fixurlifeup, Price and 3rdeyegirl, 2014.
Einige stehen auf und bewegen sich zur Musik. Zufällig bleibt niemand an den Stühlen und Tischen hängen. Die Räder der Rollstühle drehen hin und her. Die mit den dicken Zöpfen tanzen am Tisch, im Sitzen mit den Händen in der Luft.
Maresi: „Kennst Du das Lied Nemuszáj? 2014 warst du schon geboren?“
Ich: „Ja und nein. Ich war 2014 geboren. Aber Prince? Meine Mutter hat sich den 2011 auf der Margit-sziget angehört – glaub ich. Mich hat sie nicht mitgenommen.“
Maresi: „Prince wär heute 64 und noch nicht bei uns. 2012 ist er plötzlich mit drei Frauen aufgetreten, die bequem seine Töchter, eine seine Enkelin hätten sein können. Die haben die Platte aufgenommen.“
Der mit der Stromrechnung: „Eine Platte von der niemand je wieder spricht.“
Maresi: „Aber blos der Typ ist tot. Ida Nielsen, die Bassistin, spielz noch. „Mit ihrer eigenen Band“ sagt meine Enkelin, die spielt auch Bass.“
Der mit der Stromrechnung: „Der Prince starb genau wie der Michael Jackson an einer Überdosis Medikamente.“
Parkinson: „Warum kommen die an die Tabletten und wir nicht?
Die im Rollstuhl: „Aber das mit den verschiedenen Generationen zusammen hat nicht funktioniert.“ In meine Richtung: „Warum seid ihr jungen so ein „pain in the ass„? Ihr haltets euch an keine Abmachungen. Ihr seids total zickig.“
Parkinson: „Mir hat mal eine vierzig Jahre jüngere Kollegin gesagt, dass sie mich wie Müll behandelt, weil sie schlechte Erfahrungen mit alten Männernt hat. Ich hab ihr gesagt: „ich hab auch schlechte Erfahrungen mit alten Männern.“ Das hat sie weiter bestätigt. Ich war froh wie ich weg war.“
Der mit der Stromrechnung zu mir: „Heute trainieren wir Kurzzeitgedächtnis.“
Die im Rollstuhl: „Erinnert sich jemand an Maria vom zweiten Stock, die gweint hat weil ihr die Enkelin am Telefon gsagt hat „Oma, ich darf Dich nicht mehr besuchen weil Du dann stirbst.
Der mit dem Bart schaut still.
Parkinson: „Jetzt sind in Marias Zimmer die vier mit den dicken Zöpfen.“
Die im Rollstuhl: „Meidner hat gesagt das ist eine Ausnahme: jetzt dürfen mal vier in ein Zimmer. Der Zivildiener hat sie vom Bahnhof geholt.“
Ich: „Was sind das für welche?“
Maresi: „Der mit dem Bart hat zu ihnen gsagt: „вы говорите по-русски?“ Seitdem gehn sie uns aus dem Weg, sitzen allein und reden nichts.“
Parkinson: „Kannst dich erinnern wies war ohne die?“
Maresi: „Ja, und wie in der Zeitung gstandn is: die jungen werden in ihren Freiheiten eingschränkt damit die alten, halbverwesten noch ein paar Jahr ohne Halsschmerzen weiter lebn.“
Die im Rollstuhl: „Das war die Regierungszeit vom vierunddreissigjährigen Kanzlerkönig, dem wir Alten ziemlich auf den Sack gangen sind.“
Die im Rollstuhl fährt mit einem Tablett auf den Knien zu mir: „Da, du schaust hungrig aus.
Parkinson zu mir: „Wir brauchen Sie noch!
Ich mit vollem Mund: „Danke“

Bis zum nächsten mal, euer Miklós Nemuszáj

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